aus WALLY : EMILIE (SZENE 1 – Ein kleines großes Gefühl)
EMILIE:
Er arbeitet wie besessen von etwas, etwas das ich nur allzu gerne sehen würde. Und doch ist es da, in jedem Strich erkenne ich eine Ahnung. „Die Bilder, Emilie, die kommen heraus, da stell ich mich hin und es geht los mit mir, da durchflutet mich eine Energie, die schneller ist als ich selbst und nimmt mich mit. Kennst du das, Emilie?“ – Ich glaube nicht, meine ich dann, aber die Frage lässt mich nicht los und ich nehme sie mit, drehe sie herum, betrachte sie von allen Seiten. Wo fühle ich diese Energie? Und dann überkommt es mich und ich weiß es plötzlich. Samten überzieht sie mich, in dem Gefühl, wenn ich vor mich hinträume, Kleider sehe, die Frauen tragen werden, deren Zukunft die Zukunft ist. – Die Gegenwart aufsaugend, aufgehend im Rausch ihrer Lebendigkeit. Für solche Frauen möchte ich schneidern, für meine Schwestern, mit meinen Schwestern. Für mich.
WALLY:
Lustig haben wir’s gehabt, bis dann genug war. Dann bin ich weg und hab’ ihn machen lassen. Oder bin sitzengeblieben in gewünschter Pose, dem Schmerz zum Trotz. Da hab’ ich beobachten können, so oft, wie sich’s langsam aufstaut in ihm und dann so viel, so schnell so viel wird, dass er dann gleich, gleich den Stift nehmen muss. Dann gibt es nichts Anderes mehr. Nur diesen inneren Druck. Er ist Förderer und Peiniger zugleich. – Aber niemals von außen.
EMILIE:
Und später erzähl ich ihm dann von meiner Energie, er ist beschäftigt und hört nicht zu. Er dreht sich zu mir, schaut mich an und sein Blick trifft meine Mitteilung. Er hat sie besser verstanden als jemand je zuvor. – Seiner eigenen Kunst so verschworen und gleichzeitig so großzügig, so kindlich erfreut über die Kunst anderer. Er konnte es spüren und da fanden wir uns. In dieser tiefen Sehnsucht nach mehr. Nach etwas, das sein kann. Mehr noch aber nach etwas, das ist. Nach „echt“, nach „Mensch“.
BEIDE: Und wir sitzen da
WALLY: – schweigen, stellen keine Fragen, um die Stille zu füllen.
EMILIE: Und ich denke er hört nicht zu, doch sein Blick zeigt mir etwas, das ich selbst nicht verstehen kann.
aus WALLY : EMILIE (SZENE 5 – Schattenseiten)
EMILIE: Und ich frage mich, was er machen müsste, damit ich mich von ihm löse...er kann sich alle Fehler erlauben – alle?
WALLY: Und wenn er sich abwendet, kommt sie vorbei. Die Eifersucht.
EMILIE: Und der Schmerz ist Dauergast.
WALLY: Und sie ist Dauergast.
EMILIE: Er führt mich genau dorthin, wo es weh tut. Wo ich nicht mehr loskomme von meiner eigenen Menschlichkeit. Und es ist schön hinzuschauen, weil’s mich zwingt durch Tiefen zu gehen, um mich dann wieder hinaufzuschießen in die Klarheit, die Essenz.
WALLY: Eifersucht. Und ich will sie nicht. Und erkenne, dass Verstand und Gefühl oft nicht, oft nicht gemeinsam wollen.
EMILIE: Und wenn ich ihn sehe mit anderen, so leicht. Dann kommt sie auch bei mir vorbei. Die Eifersucht.
WALLY: Mein Verstand weiß, nein, sogar tiefer, tief drinnen weiß ich
EMILIE: (weiß ich) dass wir nicht ersetzbar sind. Dass das, was wir haben, besonders ist. Weil wir unserkennen. Dass keine andere... und trotzdem. Trotzdem. Verdammt noch eins. Bin ich dann so [wütend]
WALLY: Auf mich selbst?! – Zuerst in der Magengrube
EMILIE: Ein Ziehen bis zum Herzen.
WALLY: Hals – trocken.
EMILIE: Ein Gefühl gegen das ich ankämpfe während ich es fühle.
WALLY: Weil ich weiß, dass ich nicht sollte.
EMILIE: Sollen.
WALLY: Ha! Das macht es noch schlimmer.
EMILIE: Selbstmitleid. Die nächste Stufe.
WALLY: Grausen. Vor mir selbst. Was ist falsch? An mir? Diese blöde Frage. Was reicht nicht?
EMILIE: Reicht nicht aus?
WALLY: Alles. Jetzt. Und dein Gedankengebäude wird größer, höher und du baust und baust – bis es
EMILIE: einstürzt. In dir. Und du allein bist es, die dich retten kann.
Die Reste hervorzieht aus dem Schutt deiner Hirngespinste. Worum geht’s denn wirklich? Worum, verdammt, geht es?
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© Julia Marie Wagner, 2018